Wenn der Roboter klingelt: Lio im Pflegealltag
Ein Highlight zum Start: Lio, der Pflegeassistenzroboter von F&P Robotics, der in Schweizer Alters- und Rehakliniken Botengänge übernimmt – von Laborproben bis zum Blumenstrauss. Anfangs begegnet ihm das Pflegepersonal mit Skepsis: «Nimmt er meinen Job weg?». Doch im Alltag zeigt sich schnell, Lio ersetzt niemanden, sondern erspart mühsame Wege und schafft mehr Zeit für menschliche Pflege.
Spannend war der Blick auf UX im Gesamtsystem. Bewohnende wünschen sich, dass Lio sie wiedererkennt, damit Interaktionen mit ihm persönlicher werden, was aus Datenschutzsicht aber nicht so einfach möglich ist. Und auch die Prozesse sind noch nicht perfekt: Die Box auf Lios Rücken ist aus Datenschutzgründen nicht durchsichtig und mit einem Schloss gesichert. Der Empfang muss sie bei den täglich eingeplanten Ankünften manuell öffnen, manchmal nur, um festzustellen, dass die Box leer ist. Die Idee, Lio nur losfahren zu lassen, wenn ein Gewichtssensor erkennt, dass etwas in der Box liegt, scheitert am Bedürfnis der Mitarbeitenden, sicherzugehen, dass er nicht unterwegs stecken geblieben ist. Hier zeigt sich: Nicht nur der Roboter braucht gutes UX-Design, sondern das gesamte Ökosystem rundherum.
Unsere Takeaways
- Ängste rund um Automatisierung ernst nehmen und aktiv adressieren
- Personalisierung vs. Datenschutz bleibt ein Spannungsfeld
- Robotics ist immer auch Service Design: Technologie und Abläufe gemeinsam denken.
Data is the new Caffeine – wie wir künftig mit Daten sprechen
Der Beitrag von Microsoft zeigte, wie sich unsere Datenwelt fundamental verändert. Früher mussten wir uns durch Dashboards klicken – heute können wir in natürlicher Sprache Fragen stellen und KI generiert passende Visualisierungen oder Insights.
Ein humorvolles Beispiel ist die Analyse des Kaffeekonsums von Microsoft Schweiz. Das Diagramm zeigte montags einen deutlichen Peak und freitags kaum Daten – nicht, weil niemand arbeitet, sondern weil viele im Homeoffice sind. Solche einfachen Visualisierungen schaffen schnell Verständnis, ohne 300 Seiten Analyse.
Wichtig war der Hinweis, dass KI nicht mit «Wir wollen auch AI» beginnt, sondern mit einem Use Case, der echten Mehrwert liefert. Dafür braucht es eine solide Datenbasis, klare Zugriffsrechte und die Sicherheit, dass ein Chat-Interface dieselben Werte liefert wie ein klassischer Report. Neu ist auch die Arbeit mit Data Agents – spezialisierte Mini-Systeme, die z. B. strukturierte Daten, unstrukturierte Dokumente oder Orchestrierung übernehmen. UX entscheidet hier, wie all diese Komplexität hinter einer einfachen, verständlichen Oberfläche zusammengeführt werden kann.
Unsere Takeaways
- Gute Daten-UX heisst klare Stories statt Zahlenfriedhof
- Generative AI ist ein starkes Interface, die Datenbasis bleibt aber entscheidend
- Transparenz (woher kommt welche Zahl?) ist Grundlage für Vertrauen
Von Klick zu Zielen: Wie AI-Agents für uns arbeiten
Während klassische Interfaces noch stark auf Eingaben und einzelne Tasks ausgerichtet sind, verschiebt sich mit Agentic AI der Fokus: Wir formulieren ein Ziel – und ein Agent übernimmt die vielen kleinen Schritte im Hintergrund. Statt als Arztpraxis nach einem Tag voller Patienten noch über ein komplexes Abrechnungs-Tool alle Rechnungen zu erstellen, sagt man nur noch: «Erstelle bitte die Rechnungen für meine heutigen Patienten.»
Damit solche Systeme vertrauenswürdig bleiben, haben die Referentinnen von Netlight drei Designprinzipien für Agentic AI hervorgehoben:
- Wahrgenommene Performance
Agentic Systeme brauchen oft länger als klassische UIs. Wichtig ist, dass Nutzende jederzeit wissen, was passiert: Statusmeldungen und Benachrichtigungen ersetzen den klassischen «Ladebalken».
- Massgeschneiderte Ergebnisse
Nutzende erwarten, dass das System aus Korrekturen lernt. Ohne solche Feedback-Loops wirkt der Agent schnell «stur» statt smart.
- Verständnis & Autonomie
Agentic AI ist nie zu 100 % deterministisch. Umso wichtiger ist Erklärbarkeit: Warum wurde genau diese Kostenstelle gewählt? Woher kommen die Vorschläge? Die Nutzenden müssen Ergebnisse prüfen und bei Bedarf korrigieren können.
Die Referentinnen machten deutlich: Im Bereich Agentic AI gibt es derzeit noch keine etablierten Experten – alle befinden sich in einer gemeinsamen Lernphase. Wer jetzt aktiv experimentiert, kann die Standards von morgen mitgestalten.
Unsere Takeaways:
- AI-Agents verschieben den Fokus von «Aufgabenbasiert» zu «Zielbasiert» – das verändert, wie wir Interfaces denken.
- Erklärbarkeit, Feedback-Loops und Kontrollmöglichkeiten sind zentral, damit Menschen autonomen Systemen vertrauen.
- Jetzt ist der Moment zum Experimentieren: Wer heute testet und lernt, gestaltet die Standards von morgen mit.
- Die Rolle von UX wird grösser, nicht kleiner: Wir gestalten nicht nur Screens, sondern auch Zusammenspiel, Verantwortung und Verständnis zwischen Mensch und AI.
UX am Wendepunkt: Abstieg oder Aufbruch
In einer Podiumsdiskussion beleuchteten Expert:innen die existenzielle Frage: Braucht es UX-Designer:innen in Zukunft noch?
Die Krise der Wahrnehmung
UX kämpft trotz jahrelanger Bemühungen noch immer um einen echten Platz am Entscheidungstisch. Der Beruf wird häufig als «Auftragsmaler» wahrgenommen – man darf die Oberfläche gestalten, aber strategische Entscheidungen fallen woanders. Vibe Coding und generative KI erwecken bei manchen den Eindruck, dass Design-Expertise überflüssig wird. Dabei zeigt sich: KI-Tools können erfahrene Designer:innen enorm beschleunigen, aber ohne die Fähigkeit, Ergebnisse zu beurteilen, entstehen oft nur unbrauchbare Lösungen. Ein weiteres Problem ist das Label selbst – der Begriff «UX» löst bei vielen Stakeholdern mittlerweile Abwehrreaktionen aus.
Vom taktischen Handwerk zur strategischen Relevanz
Die Panelist:innen waren sich einig: Statt nur über Buttons zu sprechen, sollte die Disziplin strategische Fragen adressieren. Ein Paradigmenwechsel wurde vorgeschlagen: Weg von «User Experience», hin zu «Human Experience» im Kontext der Mensch-Maschine-Interaktion. Der Fokus sollte auf Wertschöpfung, Fairness und Transparenz liegen. Dabei geht es nicht darum, UX-Methoden zu verkaufen, sondern in der Sprache der Stakeholder konkrete Probleme zu lösen. UX-Expert:innen müssen die gesamte Wertschöpfungskette verstehen, nicht nur isolierte Touchpoints. Auch ethische Themen wie Accessibility bleiben ein blinder Fleck – trotz European Accessibility Act scheitern 95% der Top-Websites an grundlegenden Standards.
Unsere Takeaways:
- Generalistische Kompetenz aufbauen: Den gesamten Business-Kontext verstehen, die Wertschöpfungskette von Anfang bis Ende durchdringen.
- Wertvolle Spezialisierungen wählen: User Research und konzeptionelles Design bleiben langfristig relevant, während reine Ausführungstätigkeiten zunehmend automatisiert werden.
Business-Analyse & UX für erfolgreiche Softwareprojekte
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Extended Reality und AI: Wenn virtuelle Erlebnisse reale Wirkung zeigen
Prof. Dr. Arzu Çöltekin vom Institute of Interactive Technologies der FHNW präsentierte faszinierende Einblicke in die Schnittstelle von XR (Extended Reality), Eye-Tracking und AI – insbesondere im Gesundheitsbereich.
Virtuelle Erfahrungen, echte Effekte
Die zentrale Botschaft: Virtuelle Erlebnisse mögen nicht real sein, aber die Emotionen und physiologischen Reaktionen darauf sind es sehr wohl. Dies zeigt sich in medizinischen Anwendungen wie virtueller Schmerztherapie, aber auch – ethisch fragwürdig – bei Kühen, denen mittels VR-Brillen Sommerszenen gezeigt werden, was nachweislich die Milchproduktion steigert.
Kognitive Gesundheit im Fokus
Ein Schwerpunkt der Forschung liegt auf kognitiver Gesundheit im Alter. Bis 2050 werden über 75-Jährige rund 30% der Gesellschaft ausmachen. Das Institut entwickelte gemeinsam mit dem Startup Altoida eine AR-App für kontinuierliches kognitives Monitoring. Anders als traditionelle Tests beim Arzt, die nur punktuell alle 12 Monate stattfinden, ermöglicht die App eine 10-minütige spielerische Testung zu Hause. Dabei werden AR-Objekte im Raum platziert und wieder eingesammelt – die App misst nicht nur das Erinnerungsvermögen, sondern auch Gangmuster, Geschwindigkeit und Bewegungszittern.
Ein weiteres Projekt nutzt generative AI, um aus einem einzigen alten Foto vollständige VR-Umgebungen zu erschaffen. Ältere Menschen können so ihre eigenen Erinnerungsorte virtuell wieder besuchen – etwa das Wohnzimmer ihrer Kindheit. Dies weckt Erinnerungen und kann bei Gedächtnisproblemen therapeutisch wertvoll sein.
Unsere Takeaways:
- Virtuelle Erlebnisse erzeugen reale emotionale und körperliche Reaktionen.
- AR und VR ermöglichen kontinuierliches Gesundheitsmonitoring im Alltag – besonders wertvoll für die kognitive Gesundheit einer alternden Gesellschaft.
- Die Kombination von XR mit generativer AI eröffnet neue therapeutische Möglichkeiten, etwa durch personalisierte virtuelle Erinnerungsräume.
Fazit
Der World Usability Day 2025 hat einmal mehr gezeigt: Technologie entwickelt sich rasant – aber gutes Design bleibt menschlich. Ob autonome Agenten, immersive Welten oder datengetriebene Interfaces: Die Herausforderung liegt nicht in der Technologie selbst, sondern darin, sie so zu gestalten, dass sie echten Mehrwert schafft, vertrauenswürdig ist und niemanden zurücklässt. Wir nehmen viele Impulse mit, um weiterhin Erlebnisse zu gestalten, die sinnvoll, zugänglich und vertrauenswürdig sind – und freuen uns darauf, die nächsten Entwicklungen aktiv mitzugestalten.